Unterwegs am Gasherbrum 2 (8035m) im Karakorum

Peter Mayer, Oliver König, Thomas Deininger

Kartenausschnitt Anmarsch

„Unser Ziel ist der Gasherbrum 2. Wir planen die Ersteigung über den Südwestsporn – das war auch die Route der österreichischen Erstersteiger (Moravec, Larch, Willenpart). Zunächst müssen wir vom Basecamp 1000Hm durch den Gasherbrum-Gletscherbruch zu Lager 1, dann gehts eigentlich am Berg los. Wir dürfen die Fixseile am Sporn mitbenutzen, auch die Notsauerstoffrationen in den Hochlagern der Dujmovits-Expedition. Da wir ziemlich spät dran sind, wird es an uns sein, die Fixseile abzumontieren und rauszuschleppen. Der Vorteil unserer späten Besteigung könnte sein, dass wir eventuell bereits eingerichtete Hochlager übernehmen können. (Andere ersparen sich das Runterschleppen, wir das Raufschleppen…)

 

Vom Lager 1 unten am Gletscher (ca. 5900m) gehts die Eisflanke rauf bis zum ersten Knick (ca. 6400m , Lager 1b) dann gehts entlang des Felssporns – immer knapp rechts im Eis – ziemlich steil und heftig bis auf den Spornabsatz (ca. 7000m – Lager 2) dann relativ flach (zumindest siehts am Foto so aus, in Wirklichkeit aber 45° steil und mühsam mit eingefrorenem Schotter und Uraltfixseilen) bis an den Anfang der Rechtsquerung (eventuell Lager 3). Nach der Querung gelangt man von rechts nach links über den Grat auf den Gipfel.

Unsere Route ist relativ sicher, mal abgesehen von der Zone zwischen 6000 und 6500m – hier könnte eine Riesenlawine / Eisabbruch zuschlagen. Die Route ist aber auch relativ steil, im Schnitt 40-45°, tw. bis 70°, mit Klettern bis zum 2.Grad, also alpinistisch für uns durchaus fordernd.

Haltet uns die Daumen für gutes Wetter, gute Akklimatisation, guten psychischen Zustand, gute Verdauung, gute Kameradschaft, guten physischen Zustand. Sollte nur eins davon nicht hinhauen, wirds nix mit Gipfel, aber dann bleibt immer noch ein gewaltiger Urlaub mit Trekking durch eine phantastische Bergwelt.“

Route

Email-Tagebuch

27. Juni 2004

Abflug nach Rawalpindi.

 

28. Juni 2004

Oliver Koenig, Peter Mayer und ich sind gut in Rawalpindi angekommen. Morgen geht es weiter Richtung Chilas. 
Liebe Grüße, Thomas

 

9. Juli 2004

Wir befinden uns seit gestern im G2-Basislager. Beim Anmarsch hat alles bestens geklappt, das Wetter war schön und unsere Begleitmannschaft hat uns bestens versorgt. Wir sind alle drei gesund und bester Laune und planen am 11. Juli unser erstes Hochlager zu errichten. 
Liebe Grüße an alle von Thomas, Peter und Oliver

 

17. Juli 2004

Wir sind nach einem Ausflug ins Lager 1B (6440m) wieder gesund und munter im Basislager. Übermorgen planen wir einen Aufstieg bis ins Lager 2 (6900m), wo wir zwecks Akklimatisation eine oder zwei Nächte verbringen wollen. Danach werden wir uns wieder melden. 
Liebe Grüße an alle von Thomas, Oliver und Peter.

 

29. Juli 2004

Abschlussbericht (Erfolg!):
Nachdem unsere Vorbereitungstouren aufgrund des Wetters nur bis 6400m geführt haben, haben wir eine plötzliche Schönwetterphase ausnützen müssen. Wir stiegen am 24.7. nach dem Frühstück zu Lager 1 (5930m) auf. Am 25.7. stiegen wir zuerst zu Lager 1B (6440m) auf, wo wir unser Hochlager abbauten und anschließend nach Lager 2 (6930m) aufstiegen. Am 26.7. brachen wir um 0 Uhr vom Lager 2 auf, spurten mühsam zu Lager 3 (7350m) und von dort konnten wir der Spur der Deutschen Richtung Gipfel folgen. Peter drehte auf 7500m wegen kalter Füße um, Olivers Akku war auf 7800m leer und Thomas konnte auf 8035m (Gipfel) nicht mehr höher. Der Abstieg war zwar mühsam, verlief aber ohne besondere Vorkommnisse. 
Inzwischen sind wir alle glücklich und gesund im Basislager und warten auf die Träger für den Rückmarsch in die Zivilisation.
Liebe Grüße an alle von Thomas, Oliver und Peter

Zeitlupenstudie

von Oliver König, geschrieben Oktober 2004

Der Höhenbergsteiger ist prinzipiell Masochist. Die philosophische Erkenntnis sucht mich im Schatten eines Seracs spontan heim, als wir zum vierten Mal durch den gleißenden Eisbruch zum Lager 1 hinaufschwitzen. Eigenartig – in den Schriften des Meisters wirken Einsichten beim Höhenbergsteigen viel tiefschürfender. Einsamkeit. Grenzerfahrung. Visionen. Meist am Rande des physischen Zusammenbruchs. Na, zumindest damit kann ich dienen. Im Lager 1 krieche ich ins Zelt. Nachmittagsschlaf des Gerechten. Mitnichten. Der Zeltboden, vor einigen Tagen noch völlig eben, gleicht einer Hängematte gespickt mit Eisdornen. Also wieder raus. Alle Verankerungen ausgraben, Zelt beiseite heben und Schnee aufschütten. Eine Schaufel. Noch eine Schaufel. Pause. Und Atmen. Klingt wie eine isometrische Übung von Ilse Buck? Spätestens ab 6000 Metern Seehöhe wird die Übung ganz selbstverständlich. Denn Zuwiderhandlungen werden vom Körper sofort geahndet. Schnee fest stampfen. Und Atmen. Ideale Gelegenheit für einen Rundblick. Das weiße Ende der Welt. Die leuchtenden Berge haben uns aufgenommen. In sich. Sechs Gasherbrums blicken auf bunte Zelte. Jeder nach seinem Charakter. Unnahbar und sehr spitz der erste. Er darf sich das erlauben. Schließlich ist er der höchste hier. Gleich vis a vis der Sechser. Aus seiner glitzernden Riffeleiswand kracht täglich tonnenweise Schnee in den Kessel. Aber meine Aufmerksamkeit bekommt er auch mit solchen Tricks nur kurz. Die breite weiße Wand mit der aufgesetzten kecken Pyramide ist es, die meinen Blick immer wieder auf sich zieht. Wenn man die Augen zusammenkneift, kann man die Spur erkennen. Bis unter den Dreispitz. Über Lager 3 auf knapp 7000 Metern ist dieses Jahr noch keine Expedition hinausgekommen. Morgen wollen es einige versuchen. Wir sind spät dran. Wenn das Wetter so schön ist, wie heute, müsste man schon oben sein. So hoch wie möglich. Aber wir sind erst vor zwei Tagen ins Basislager abgestiegen. Zum Ausruhen. Und dann hat Doktor Gabel im fernen Innsbruck beschlossen, dass heute Gipfeltag ist. Wahrscheinlich auch morgen noch. Und übermorgen?

Leila Peak
Eisberge am Baltoro
Gasherbrum 4 bei Sonnenuntergang
K2 bei frühem Morgenlicht

Als ich ehrfurchtsvoll unter der beinahe senkrechten Eiswand stehe, brauche ich dringend Motivation vom Meister: Der Gasherbrum 2 kann sicher als der leichtest besteigbare Achttausender bezeichnet werden. Na wenn das so ist, denke ich mir, hacke ins Blankeis, dass es nur so spritzt und greife mit der anderen Hand beherzt zum Jümar. Ich will rauf, aber die zwanzig Kilo in meinem Rucksack wollen runter. Nur noch zweihundert Höhenmeter, verhandle ich mit meinen gepeinigten Schultern. Die achthundert heute bereits zurückgelegten übergehe ich taktvoll. Überredet. Lager 3 auf beinahe 7000 Metern wirkt, aus dem Kessel betrachtet, wie ein großzügiges Plateau. Dahinter ein sanft ansteigender Rücken bis zur langen Querung. Verdammt. Wo ist das Plateau? Dicht aneinandergedrängt einige Zelte auf einem schwach geneigten Hang zwischen Gletscherspalte und Abbruch. Der Rücken dahinter felsgesprenkelt und steil, wie ein Giraffenhals. Aber das ist Schnee von morgen. Der von heute wird gekocht. Ich beginne sofort nach der Ankunft um drei Uhr. Beim Kochen hat man Zeit. Muss man Zeit haben. Denn es dauert eine gute halbe Stunde, bis aus unzähligen Schaufeln Schnee gerade mal ein Liter, na ja, sagen wir kochendes Wasser wird. Weit schweift der Blick über die Gipfel von Gasherbrum 5 und 6 auf das formvollendete Firntrapez der Chogolisa. Zum Niederknien schön. Aber ich bleibe sitzen und koche weiter. In der riesigen Gipfelflanke des Gasherbrum 1 erscheint im Abendlicht ganz schwach eine Linie. Die Spur von Ralfs Gruppe? Um sechs Uhr, der Kocher läuft immer noch, dreht Thomas das Funkgerät auf und wir hören die Berichte der anderen Expeditionen. Baltoro-Radio. Hajo hat sich heute mit seiner Gruppe bis ins Lager 4 hinaufgewühlt. Er klingt erstmals zuversichtlich, dass sie es morgen bis zum Gipfel schaffen. Ralf und seine Gruppe waren heute Mittag auf dem Gipfel des Gasherbrum 1. Aber sogar über das Funkgerät klingt sein badischer Dialekt gepresst. Es hat ja doch keinen Sinn, wenn ich es euch verschweige. Es hat einen Unfall gegeben. Ein Spanier, der Jose, ist beim Abstieg kurz unter dem Gipfel gestrauchelt und über 700 Meter abgestürzt. Wir haben ihn an Ort und Stelle begraben.

 

Mitternacht. Raus aus der Daune. Rein in die Gargantua-Stiefel und ab in die Nacht. Minus 25 Grad, ächzt das Thermometer. Die Spur vom Vortag – vom Winde verweht. Wir stapfen in vollkommener Stille. Drei Lichtpunkte. Jeder eine winzige dampfende Insel in der schwarzen Unendlichkeit. Fixseilende. Wo weiter? Hier rauf? Bei dieser Steilheit hätte Hajo doch sicher ein Seil verlegt. Zweifel. Zögern. Peter lässt sich vom Meister inspirieren, und spurt in der Falllinie des leichtesten Achttausenders aufwärts. Unter lockerem Neuschnee abwärts geschichtetes glasiertes Geröll. Mir graut vor dem Abstieg. Ein Fähnchen. Ein Seilende lugt aus dem Schnee. Ich huste erleichtert. Im Morgengrauen erreichen wir die Zelte von Lager 4. Direkt über meinem Kopf schemenhaft die nun nicht mehr kecke sondern gewaltige Gipfelpyramide. Wir folgen wieder einer Spur. Knietiefer Schnee. Oft auch tiefer. Die Querung ist lang, aber nicht mehr so steil, wie der Sporn. In unserem Rücken taucht die aufgehende Sonne den Gasherbrum 4 für kurze Zeit in blutiges Rot. Keiner zieht die Handschuhe aus für ein Foto. Kalte Füße. Zwei leichte Erfrierungen haben sie schon hinter sich. Jeder Schritt ein Willensakt. Husten. Quälend bis beinahe zum Erbrechen. Wir sind sechs Stunden unterwegs, als Peter oberhalb des Franzosensporns das Handtuch wirft. Die Spurarbeit hinauf zum Lager 4. Und kalte Füße. Ich ignoriere meine. Er dreht um. Noch fünfhundert Höhenmeter. Der Hang zur Scharte steilt sich auf, und die Schneeauflage wird dünner. Ein Bergsteiger ruht sich aus. Stoßweise Dampfschwaden. Ich blicke kurz in ein porzellanweißes Gesicht, eingerahmt von einer knallblauen Daunenkapuze. Der Joker aus den Comics meiner Kindertage grinst mich an. Erst einige Meter weiter begreife ich, dass es nur Sonnenschutzcreme war. Die Scharte. Ein enger Durchschlupf zwischen dunklen Felsen. Eisdüse. Ich stemme mich gegen den Wind, der Schneestaub aus China nach Baltistan fegt, und torkle in bedenklicher Schräglage über die Grenze. Endlich Morgensonne. Hinter der Scharte lässt der Wind nach. Das ändert aber nichts an der Bleifüllung, die sich meine Bergstiefel in den letzten Stunden zugezogen haben. Noch ein Schritt. Weiter. Noch ein Schritt. Nicht stehenbleiben. Die Welt als Wille und Vorstellung. Schritt. Noch ein Schritt. Zwanzig Meter weiter rutscht ein bunter Fleck durch mein Gesichtsfeld. Auf dem Rücken liegend gleitet ein Bergsteiger in langsamer Drehung bergab. Das Eisgerät hält er fest umklammert. Ein zweiter steht genau in seiner Bahn, stoppt den Gestürzten. Schritt. Luft holen. Schritt. Warum hat er nicht versucht, sich auf den Bauch zu drehen? Grundregel nach jedem Sturz. Luft holen. Schritt. Warum hat er sein Eisgerät nicht eingesetzt? Luft holen. Schritt. Natürlich. Ich bleibe stehen. Er war noch nicht fertig mit dem Begreifen. Nicht nur die Bewegungen verkommen hier oben zu Studien in Zeitlupe, auch das Hirn arbeitet viel langsamer. Das teuflische dabei ist nur, dass es einen darüber im Unklaren lässt. Ich setze den Rucksack ab. Pause.

Masherbrum
Muszthangtower
Aufklaren überm Baltorogletscher

Vor mir der Gasherbrum 1 inmitten eines Ozeans von gleißenden Zacken, Spitzen, Türmen. Kaschmir ohne Demarkationslinie. Zu meiner Linken winden sich tief unten geröllbedeckte Gletscher in die Steppen Sinkiangs hinaus. Die Gipfelflanke hinter mir, steil und abgeblasen. Aus einer seichten Rinne dringt das Klirren splitternden Eises. Ich drehe mich um. Bunte Michelin-Männchen setzen bei jedem Schritt die Frontalzacken ihrer Steigeisen ein. In Zeitlupe. Darüber zweihundert Höhenmeter weiß. Dann nur noch blau. Nein, schwarz. Für die Flanke brauche ich wahrscheinlich drei Stunden. Schaffe ich das noch? Will ich das überhaupt schaffen? Dann noch vier Stunden Abstieg. Steil. Wie Jose? Dort unten spricht es sich leicht: Wenn es mich nicht mehr freut, dann drehe ich einfach um. Hier oben wandert ein süchtiger Blick hinauf zum Gipfelgrat. Nur noch zweihundert Höhenmeter. Kleine Windhosen kitzeln die Flanke, fordern Schneekristalle auf, zum Tanz. Mich fröstelt. Ob die Zehen schon etwas abbekommen haben? Der Gestürzte ist wieder unterwegs. In der Rinne. Aufwärts. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, dass aus Richtung der Scharte wieder jemand heraufkommt. Schritt, Schritt. Pause. Die Gestalt atmet schwer, den Oberkörper auf einen Schistock gebeugt. Schritt, Schritt, Schritt. Das leichte Taumeln ist auch in der Zeitlupe zu erkennen. Die Gestalt schaut auf. Eine Totenmaske. Der Joker. Er hat seinen Kameraden erreicht. Sie sprechen miteinander. Der Joker dreht sich um. Steigt ab. Ich schaue ihm nach. Jetzt ist er hinter dem Buckel verschwunden, der die Scharte meinem Blick entzieht. Jemand tippt mir auf die Schulter. Thomas ist zwanzig Meter zu mir abgestiegen. Absolut keine Selbstverständlichkeit. Hier oben ist jeder Grenzgänger. Kann dir keiner helfen. Entweder du gehst auf eigenen Füßen wieder hinunter, oder du bleibst hier. Oben. Willst du eine Pause machen? Wir haben Zeit genug. So gleichmäßig, wie du steigst, schaffst du es sicher bis zum Gipfel. Möglich. Aber komme ich auch wieder runter? Meine Entscheidung ist gefallen. Ich habe den Joker gezogen und huste dem Gipfel was. So einfach ist das. Wenn man vor dem Papier sitzt, und die Wahrheit erfindet.

Es ist noch früh am Vormittag, als ich mit dem Abstieg beginne. Thomas erreicht den Gipfel gegen viertel nach elf. Hätte ich? Um halb vier ist er wieder bei uns im Lager 3. Wäre ich? Den Vorhang zu, und alle Fragen offen.

Fotoalbum

Text, Fotos: Oliver König, Peter Mayer, Thomas Deininger 2004
Update Layout: Ulli Fechter 2022
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