Gschichteln vom Zimmerweg

aus den drei Jahren, in denen wir nicht immer,
aber immer wieder an seiner Sanierung arbeiteten


9. November 2003, Stadelwandgraben, ca. 950m Seehöhe.

Zwei Bergsteiger wanken zu Tal und debattieren. Man hört etwa das Folgende :

Rudi (in brüchigem Tonfall, als ginge es ans Eingemachte) :
"Also ... versteh ich dich richtig ... dass du den Zimmerweg NICHT sanieren willst...?"

Christian (desperat, aber auch etwas gespielt) :
"Deen Schamott?!  Naaa...!"

 
Vorangegangen war an diesem Tag eine Begehung des Zimmerwegs. Im Urzustand.

Zitat Reidinger:
"Auf diesem Weg gelang die erste Erkletterung der Stadelwand." (Das war 1906)

Es hatte relativ nett begonnen, mit dem Vorhaben, sich diesen Weg einmal anzuschauen, ob man ihn vielleicht sanieren könnte.

Die Einstiegsrinne ging bald in ein endloses Schotterwerk über, in dem man sich intensiv bemühen musste, kletterbaren Fels zu finden.

Zitat Reidinger :
"... ersteigt man in mittelschwieriger Kletterei die schrofigen, grasdurchsetzten Felsen im allgemeinen gerade aufwärts haltend bis zum Beginn eines 60m hohen, sichelförmigen Kamins ..."

Der Kamin.
    Der erste alte Haken,
        der erste überzeugende Fels,
            nur hinauf, nicht nach Sicherungsmöglichkeiten fragen,
                Stand an einer morschen Buche, weiter hinauf,
ein Absatz ist erreicht.

Die nächsten zwei Stunden vergehen mit der Suche nach tragfähigen Strukturen, den Führer griffbereit, die Hände abwechselnd in Graspolstern, an harzigen Föhrenstämmen, an Einmal-Felsgriffen (nach Gebrauch wegwerfen). Manche Tritte erinnern an eine alte Schokolade-Werbung ("knack dir eine Ecke ab..." in kehligem schweizer Tonfall recht genüsslich vorgetragen).

Ein netter Standplatz mit zwei Haken fällt auf, dann wird der Weg endgültig zur Geisterbahn, die über bröselig-brüchige Grasschrofen, wackelige Felstrümmer und in-den-Dreck-geschlagene Haken zum Ausstieg in steilem Wald führt.

Man ist froh, es endlich hinter sich zu haben. Ein versuchtes Nachdenken, ob irgendwo (mit Ausnahme des Kamins) noch brauchbare Kletterstellen vorgekommen sein könnten, bringt nur zweifelhafte Ergebnisse.

Rudi ist das Ganze aber früher schon gegangen und meint etwa, durch die seltene Begehung wäre der Weg völlig vergammelt, es gebe schon brauchbaren Fels, man müsse halt putzen. Während er sich so in positivem Denken übt, hat Christian es eigentlich satt, verbalisiert seinen Frust ("...a überhängende Wiesn ...") und geniesst das auch irgendwie.

So kam es zum eingangs erwähnten Dialog.
 

Es vergehen Minuten in einer Stimmung, die so ungut ist wie der Weg, der mit tückisch unter feuchtem Laub versteckten Felstrümmern ständig den Abstieg sabotiert.

Diplomatisch nach einer die Freundschaft erhaltenden Lösung suchend, kratzen schließlich beide die Kurve.

 
C:  "...naja, wanns vielleicht an andern Ausstieg gäb', ..."
R:  "...den müssen wir halt suchen...."
C:  "...weil des G'lumpert is unzumutbar..."
R:  "...kann mir schon vorstellen, wo es geht..."
 

Ausgemacht, die Serie wird fortgesetzt. Es ist klar, was in den letzten Zügen dieses Herbstes getan wird, und im nächsten Herbst, und im übernächsten.


Herbst 2004, Zimmerweg, in der 2. Seillänge über dem Kamin.

Aus der Platte zur Linken fliegen gelegentlich kleine Portionen Schotter, während am Pfeiler zur Rechten die Hölle los ist. Es ist kein Betrachter zugegen (er wäre auch in unmittelbarer Lebensgefahr). Nur erschreckte Raben könnten über den Anblick berichten :

Wie einer der beiden Protagonisten lustbetont die Plattenstelle putzt, ausbouldert und entspannt plaudert, der andere hingegen mit Staub- und Gesichtsschutz inmitten einer Dreckwolke, die vom Aufwind erbarmungslos in konstanter Höhe gehalten wird, bergbauähnliche Arbeit verrichtet und peinlich alles aus der Route entfernt, was zukünftigen Kletterern auf die Köpfe fallen könnte.

Absolutes Glanzstück dieser Kollektion ist ein mehrere hundert Kilo schwerer toter Baumstamm, der, einmal mit rhythmischen Impulsen aus der Wand gehebelt, sich überschlagend die beiden unteren Wanddrittel zurücklegt, und bei jedem Aufprall wie ein geprügelter Resonanzkasten donnert. Er wurde zu dieser Turnübung sozusagen ein Jahr vor seiner Zeit genötigt...

Der andere der beiden, Rudi, der Plattenputzer, kommt schlußendlich aber auch noch zum Handkuss, er muss nach dem Abseilen wieder hinauf, weil das Seil an einem harzigen Föhrenstamm festklebt und sich einfach nicht abziehen lässt.

Christian sieht am Wandfuß nach dem Abnehmen der Brille aus, als käme er aus der Aschenlade gekrabbelt. Rudi lacht den dreckigen Brillenbären gutmütig aus.

 
R: "Dass du dir das antust, diese furchtbare Seillänge herzurichten...
     Die "moderne" Variante daneben wird eh schöner!"

C: "I will einfach nur, dass der "neue Zimmerweg" als Vierer begehbar wird.
     Damits mei Frau ah gehn kann - weil Routen, die ihr z'schwer san, gibts eh g'nua.
     Und ausserdem is des Stückel mit der kleinen Rampen durchaus originell..."
 


1. Oktober 2005, in der neu erschlossenen 1. Seillänge des "Neuen Zimmerwegs".

Rudi versucht, dem gerade kletternden Spezl seine Kreation zu "verkaufen", doch dieser motzt :

 
C: "Also, VIERER is des keiner ... !"

R: (Gesichtsausdruck und Tonfall halb beleidigt, halb mitleidig)
     "Na geeh, diese Kletterei passt doch super dazu!"

C: (sich über den mitleidigen Unterton ärgernd)
     "I sag ja net, dass MIR z' schwer is. Aber es is net unter FÜNF.
     Und der Neue Zimmerweg sollt' a VIERER sein!"

R: "Na ich weiss nicht, ... willst dirs nicht noch einmal anschaun?
     Hast den großen Tritt unter der Platte verwendet?"
 

Christian erinnert sich nicht an einen großen Tritt unter der Platte, und verschwindet daher nochmals nach unten. Er findet tatsächlich ein regelrechtes Loch für einen halben Fuß, das so gut versteckt unterm Rand der kleinen Platte liegt, dass man es gerade im Bedarfsfall nicht sehen kann. Etwas zufriedener taucht er schließlich oben wieder auf :

 
C: "Ja, also gut. Den Tritt sollt' ma fast ins Topo eintragen.
     Ich schreib einmal auf : Vier plus.
     Und wir werdens die Eva gehen lassen, die soll sagen,
     obs wirklich Vier plus ist, oder Fünf minus ..."

R: (erleichtert grinsend) "Ooh Keeh!"
 

Wonach beide zufrieden über den Schrofenvorbau hinunterwanken, und sich dann am Wandfuß und während des Abstiegs noch mehrmals gegenseitig beglückwünschen, endlich mit "der Hacken" fertig geworden zu sein.


9. Oktober 2005, Zweit- und Drittbegehung des "Neuen Zimmerwegs"
gemeinsam mit mit Bärbel, Hans und Eva.

Nachdem sich die "Versuchspersonen" in der ersten Seillänge doch etwas anstrengen mussten, wurde diese mit einstimmigem Beschluss auf FÜNF aufgewertet. Eva war es zufrieden, sie hats trotzdem geschafft. Die restliche Kletterei verlief zumeist anregend, und Christian atmete auf, weil die "klassischen" Variante auch gefallen hat, die Arbeit also doch nicht vergebens gewesen ist.

Nur der Steinschlag im Kamin blieb ein Problem, einige Stellen wurden daher noch ein bisschen nachgeputzt und im Topo ein paar "Blitze" eingetragen.


 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

Text und Gestaltung: Christian Faltin 2003-2005
Update 10.6.06  Christian Faltin